Jung, DMS & Sie! - Mai 2023

Sie sind seit mehr als zehn Jahren Vorständin des Deutschen Aktieninsti- tuts. Wie hat sich in dieser Zeit die Ak- tienkultur in Deutschland entwickelt? Unter einer starken Aktienkultur ver- stehe ich viele Aktionäre, aber auch viele börsennotierte Unternehmen in einem Land. Als ich beim Deutschen Aktieninstitut anfing, zählten wir in Deutschland 9,5 Millionen Aktienspa- rerinnen und -sparer. 2022 waren es 12,9 Millionen. Diese Entwicklung ist natürlich großartig. Ich bin optimis- tisch, dass sich die Aktienkultur auf einem guten Weg befindet. Vor allem das große Interesse junger Menschen ist erfreulich. Bei den unter 30-Jähri- gen entschieden sich 40 Prozent mehr junge Leute als im Vorjahr neu für die Anlage in Aktien – entweder direkt oder über Fonds und ETFs. Im Ver- gleich aller Altersgruppen ist das der stärkste Anstieg. Besonders gefreut hat mich zudem, dass 2022 auch mehr Frauen als Männer die Börse neu für sich entdeckt haben. Insgesamt nutzen allerdings immer noch deutlich weniger Frauen als Männer die Chan- cen der Aktienanlage. Wenn wir die andere Seite der Me- daille der Aktienkultur in Deutschland betrachten, bin ich weit weniger euphorisch. Wir haben in den letzten Jahren viele Unternehmen an der Börse verloren, weil die Regulierung unnötig viel Bürokratie bedeutet und gleichzeitig nicht auf die Anforderun- gen gerade junger Wachstumsunter- Jung, DMS & Sie! / MENSCHEN&MACHER Menschen&Macher „Deutschland hat noch Luft nach oben“ Dr. Christine Bortenlänger leitet seit dem 1. September 2012 als Geschäftsführende Vorständin das Deutsche Aktieninstitut in Frankfurt amMain. Davor war sie von 2000 bis 2012 Vorständin der Bayerische Börse AG und Geschäftsführerin der öffentlich- rechtlichen Börse München. Für Menschen&Macher macht sie sich Gedanken zur Aktienkultur und Altersvorsorge in Deutschland. nehmen eingeht. Deshalb entscheiden sich viele junge Unternehmen für eine Börsennotiz im Ausland. Glücklicher- weise bieten die meisten Banken und Broker ihren Kunden auch den Handel von Auslandsaktien an. Alternativ ist die Anlage in überregional orientierte Fonds oder ETFs möglich, die solche Aktien beinhalten. Mit welchen Argumenten können unabhängige Berater ihre Kunden von den Vorteilen von Investments in Akti- en bzw. Aktienfonds überzeugen? Unsere Rendite-Dreiecke zeigen eindrucksvoll, welche Erträge am Aktienmarkt möglich sind. Langfristig orientierte und breit gestreute Aktien- depots sorgen für Renditen von durch- schnittlich sechs bis neun Prozent im Jahr. Anlässlich unseres 70-Jährigen Jubiläums, das wir in diesem Jahr feiern, haben wir eine Sonderedition des Rendite-Dreiecks veröffentlicht und das Ergebnis einer Einmalanlage berechnet: Eine heute siebzigjährige Rentnerin, die zu ihrer Geburt 250 DM erhalten und diese über 70 Jahre am Aktienmarkt angelegt hat, kann sich über rund 49.000 Euro freuen. Wenn das kein Argument für die Aktie ist! Sollte der Staat private Altersvorsorge mit Aktien oder Aktienfonds stärker fördern? Wenn ja, welche Möglichkei- ten halten Sie da für am sinnvollsten? Im internationalen Vergleich haben die Deutschen Luft nach oben, wenn es um die Chancen auf attraktive Rendi- ten von Aktien für den Vermögensauf- bau und die Altersvorsorge geht. Wir vom Deutschen Aktieninstitut fordern deshalb von der Politik, Aktien zu einem festen Bestandteil der Altersvor- sorge zu machen, zum Beispiel durch die Einführung der Aktienrente. Viele andere Länder haben die Chancen von Aktien für Rente und Altersvorsorge längst erkannt. Wie in Schweden, den USA oder Großbritannien müssen Ak- tien auch in Deutschland idealerweise in allen drei Säulen der Altersvorsorge zum Einsatz kommen. Teure Beitrags- garantien oder Mindestverzinsungen, die derzeit unter Riester vorgeschrie- ben sind, sind in anderen Ländern nicht üblich und im Übrigen bei lang- fristigen Anlagehorizonten auch nicht notwendig. Seit wann sind Sie privat an den Ak- tienmärkten aktiv und wie sorgen Sie privat für die Altersvorsorge vor? In unserer Familie waren Aktien kein Tabu. Unsere Eltern haben früh mit uns über die Chancen und Risiken von Aktien und anderen Geldanlagen gesprochen. Ich persönlich habe dann während meiner Ausbildung die ersten Aktien gekauft – und auch mal Schiff- bruch erlitten. Seither spare ich re- gelmäßig und breit gestreut in Aktien, Fonds und ETFs. Fahrradfahren lernt man auch nicht ohne Stürze, und am besten fängt man früh an. Das Gleiche gilt für die Geldanlage, wenn man ein Meister werden will. 13 Mai 2023

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