Interview mit
Fritjof Nelting
Fritjof Nelting ist Geschäftsführer
der Gezeiten Häuser – einer Gruppe
von privaten Fachkrankenhäusern
für psychosomatische Medizin und
traditionelle chinesische Medizin
(TCM) sowie einer angeschlossenen
Akademie für Lebenspflege. Fritjof
Nelting hat jahrelang mit seiner chi-
nesischen Frau in China gelebt, spricht
fließend chinesisch und praktiziert
seit mehr als 10 Jahren regelmäßig
Qigong. Gegründet wurde das erste
Gezeiten Haus von seinen Eltern und
auch seine beiden Geschwister arbei-
ten mit dem Unternehmen zusammen.
Im Gespräch verrät er uns, wann
und wie Qigong wirkt und welchen
Zusammenhang Qigong und psycho-
somatische Behandlungen haben.
Welche Krankheitsbilder werden in der
Gezeiten Haus Klinik behandelt?
Wir behandeln grundsätzlich die
meisten der psychosomatischen Er
krankungen, im Mittelpunkt stehen
überwiegend Depressionen, Stress
folgeerkrankungen durch Burn-out-
Entwicklungen, Angst- und Panik
erkrankungen und Erkrankungen
infolge von Traumata. Dazu kommt
häufig eine Reihe von unspezifischen
Erkrankungen wie beispielsweise Tin
nitus, Schmerzen, Bluthochdruck oder
Verdauungsstörungen, also etwas, was
die meisten von uns kennen und nicht
unbedingt mit psychosomatischen
Erkrankungen in Verbindung bringen.
Welcher Typ Mensch kann an einer
psychosomatischen „Störung“ erkran-
ken? Mehr Männer oder Frauen?
Es gibt verschiedene Wege, die zu
psychosomatischen Erkrankun
gen führen können. Grundsätzlich
kommen Menschen zu uns, die sich
in der einen oder anderen Form in
einer „Sackgasse“ befinden und den
Weg alleine nicht mehr zurück in
ein erfülltes und gesundes Leben
finden. Im Rahmen von Burn-out-
Entwicklungen kann man sagen, dass
es sich in der Regel um Menschen
handelt, die Träume, Visionen und
Ideen hatten, also einmal „gebrannt“
haben, und auf dem Weg zur Erfül
lung dieser Träume nun einen Umweg
nehmen müssen. Frauen und Männer
sind in ähnlicher Form betroffen,
auch wenn es einige gesellschaftliche
und geschlechtsspezifische Unter
schiede gibt – zum Beispiel gestehen
sich Frauen häufig etwas früher ein
als Männer, dass neue Wege gefunden
werden sollten.
Wann setzen Sie Qigong in der
Therapie ein?
Qigong bildet eine Art Klammer um
unsere Therapie und stellt die Basis
für die Therapie dar. Unsere Gäste
(auch bekannt als Patienten) üben
jeden Morgen Qigong und beenden den
Therapietag mit einer Achtsamkeits
meditation. Das ist sehr wichtig für
den gesamten Aufenthalt, denn über
einen gestärkten und gut regulierten
Körper kann eine wesentlich bessere
und nachhaltigere Therapie, insbeson
dere auch Psychotherapie, stattfinden.
Qigong wird sowohl bei der vollstatio
nären als auch bei der teilstationären
Behandlung täglich geübt.
Wie wirkt Qigong und welche Ergeb-
nisse können Sie damit erzielen?
Qigong ist eine aktive Form der Re
gulation von Körper, Seele und Geist.
Durch regelmäßiges Üben können
wir das vegetative Nervensystem,
also den Sympathikus als Aktions
nerv und den Parasympathikus als
Ruhenerv, in ein gutes Gleichgewicht
bringen. Der Körper wird in die Lage
versetzt, in Ruhezeiten gut zu rege
nerieren und in aktiven Zeiten sein
volles Potenzial abzurufen. Menschen
im Burn-out haben in der Regel lange
Zeit den Sympathikus überstra
paziert und den Parasympathikus
nicht „zum Zuge kommen lassen“,
sodass das vegetative Nervensystem
in ein Ungleichgewicht kommt. In
der Wirtschaft würden wir davon
sprechen, dass wir im Kontokorrent
leben, also ständig unser Konto
überziehen. Das ist für eine gewisse
Zeit auch in Ordnung, aber ich muss
mir darüber im Klaren sein, dass
ich dafür Zinsen zahlen muss. Wenn
ich das ignoriere, komme ich irgend
wann an den Punkt, wo der Körper
Insolvenz anmelden muss. Das sind
im günstigsten Fall deutliche Signale
des Körpers, wie zum Beispiel häufige
Infekte, Schmerzen, Gereiztheit oder
Niedergeschlagenheit. Im schlimms
ten Fall können sogar akut lebensbe
drohliche Situationen vorliegen, wie
beispielsweise ein Herzinfarkt. Eine
gute vegetative Balance schützt uns
sehr gut vor solchen Entwicklungen
und begünstigt im Krankheitsfall
einen prognostisch guten Krankheits
verlauf und bietet eine Basis für den
weiteren Weg nach der Therapie.
Was ist Qigong? Sport, Meditation,
Esoterik – oder wie ist Ihre persönliche
Definition?
Eine der schönsten Formen der
aktiven Lebenspflege. Mit Esoterik
hat Qigong grundsätzlich nichts zu
tun. Wichtig dabei ist natürlich, dass
es sich nach unserem Verständnis bei
Qigong um eine stete Basis der Ent
wicklung handelt und es kein „Wun
der-Qigong“ von selbst ernannten
Gurus gibt, bei dem in kürzester Zeit
bedenkliche Erfolge gefeiert werden.
Wirkt Qigong auch außerhalb von
psychosomatischen Beschwerden?
Unbedingt. Durch die Regulation
des vegetativen Nervensystems beim
Qigong sind wir in der Lage, ein sehr
gutes Immunsystem aufzubauen,
Jung, DMS & Sie. / TRENDS
38
März 2016