Kolumne
Unser Körper
lügt nie
Kürzlich war ich bei einemMarktführer der Finanzdienstleistungsbranche zum
Vorstellungsgespräch geladen. Ich reiste wie vereinbart pünktlich um 17.30 Uhr in
Berlin an. Am Empfang wusste man immerhin, mit welchem Abteilungsleiter ich mich
verabredet hatte – nachdem ich erklärt hatte, welche Durchwahl dieser hat.
Ich musste nur
15 Minuten warten,
um dann von einem
Praktikanten
abgeholt zu werden.
Auch die weiteren
10 Minuten auf
dem Flur wurde ich
durch eine Lektüre
auf meinem iPad
gut
unterhalten.
Dann öffnete sich eine Tür und
ich wurde von meinem Gesprächs-
partner in den Raum gewunken.
Ein kurzer Handschlag von dem
Jackettlosen und ich saß vor einem
Schreibtisch. Ich schielte sehnsüch-
tig nach den gemütlichen Sesseln
am Besprechungstisch.
Mein Date konnte meinen Namen
sofort ohne Probleme aussprechen,
nachdem er auf die E-Mail geschaut
hatte, in der wir den Termin verein-
bart hatten.
Ich freute mich über sein lässiges
Zurücklehnen in dem gemütlichen
Chefsessel und den konzentrierten
Blick auf das abendliche Berlin. Die
Hände hinter dem Kopf gesichert und
die Beine übereinandergeschlagen,
fragte der Jackettlose nach meinem
Begehren.
Jung, DMS & Sie! / TRENDS
Die Augen öffneten sich kurz und
weit, der Mund tat das Gleiche –
als ich erwähnte, dass ich ja auf
Empfehlung eines ihm und mir
bekannten Jackettträgers und
nebenberuflichen Vorstandsmit-
glieds da sei.
Die Arme sanken kraftlos nach
unten (Schwerkraft!), die Beine
suchten an den Fußsohlen Bo-
denkontakt. Auf meine Frage, ob
denn mein Gegenüber Durst hätte,
blinzelten die Augenlider erheblich,
aber kurz und das Mineralwasser
auf dem vorher erwähnten Bespre-
chungstisch erhielt plötzlich eine
erhebliche Bedeutung ...
Werte Leser, als ich vor gefühlten
100 Jahren zum ersten Mal ein Buch
von Samy Molcho über Körperspra-
che las, fühlte ich, dass die Art, wie
ich Menschen wahrnehme, eine voll-
kommen neue Dimension annehmen
würde.
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Oktober 2017